08 März 2012

Anders, aber amüsant...



So, nun bin ich schon über einen Monat wieder zurück im guten, alten Berlin. Moment, eigentlich stimmt das so garnicht, weil sich in der Zwischenzeit ziemlich viel verändert hat. Meine sonst auch nicht wirklich saubere Straße ist mittlerweile zu einem großen Hundeklo für schwäbische und englische Möpse geworden. Da ich bisher immer dachte, dass gerade die Mopsbesitzer Wert auf Sauberkeit legen (siehe meist übergepflegtes Äußeres angestrengt auf unangestrengt gestylt), musste ich diesem Kackhaufen-liegen-lasse-Phänomen auf die Spur gehen. Observierungen der Täter brachten mir nichts. Möpse machen, wie Möpse eben machen. Observieren des anderen Endes der Koko von Knebel-Leinen brachte auch nur mäßigen Erfolg. Zumindest fiel mir auf, was alle Statushundebesitzer gemein haben: JUTEBEUTEL! Nun konnte ich mein Experiment starten und ging mit einem Jutebeutel über der Schulter, einem Kackbeutel in der Hand und meinem Hund an der Leine in die Feldforschung. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann war mein Struppi mit seiner Toilettenwahl zufrieden. Ich zückte die Tüte und beugte mich mit meinem Jutebeutelbeschultertem Arm Richtung Haufen... flatsch... Igitt... Jutebeutel landet zwangsläufig im Organicfood-Haufen. Alles klar, daran wird die exponentielle Steigung des Hundehaufenvorkommens mit der Zunahme der Zugezogenen Hipster-Hundebesitzer natürlich klar. Und ich glaube ganz sicher nicht, dass Loriots Zitat: "Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos", der Ausschlag für diesen Wahn ist.
Eine weitere Änderung in meinem, immernoch sehr geliebten, Neukölln, oh sorry, mittlerweile Kreuzkölln, ist die Eröffnung etlicher Bars und Cafés mit wunderlichen Getränken. Pasteurisiertes und wahlweise gefiltertes oder ungefiltertes Bier werden von einem französisch sprechenden Austauschstudenten bzw. Künstler mit Geheimprojekten in einer Erdgeschossaltbauwohnung mit extra abgeschlagenen Wandfliesen und Oma-Stehlampen angeboten. Hinter ihm hängt eine selbstgemalte Werbung für die neueste organic-fair-trade-Kombucha-Limonade mit linksdrehenden Milchsäurebakterien. Bei der Bestellung einer Coca Cola wird man nur abschätzig angeguckt und bekommt, wenn man Glück hat, eine Afri-Cola, wenn nicht eine super-geheime-haben-nur-wir-weil-super-geheim-und-garantiert-kein-Mainstream-und-so-Cola-ähnliche Brühe in einer mundegeblasenen Flasche von einem befreundeten Künstler, der seine Flaschen auf dem Nowkölln flowmarkt und Dawanda oder Etsy anbietet und in einer ach-so-kreativen-WG mit anderen Auswanderern lebt und versucht dem Konsumterror zu entgehen, weil extrem uncool, aber selber verantwortlich für eben diesen ist und feiern bei "illegalen, Hinterhof-geheim-Parties" ihren absurden Snobismus.
Noch ein sehr drastischer und lebensverändernder Einschnitt in meinem bisherigen Leben ist die Schließung meines geliebten türkischen Supermarkts, Netto und dem türkischen Supermarkt eine Ecke weiter. Einkaufen in Bio-läden ist natürlich politisch korrekter und woher soll man denn wissen woher das Fleisch kommt, wie das Rind hieß, was seine Lieblingsspeise, sein Lieblingsonkel und sein Lieblingsmassageöl war. Wenn man überhaupt Fleisch zu sich nimmt... Aber es gibt ja auch gute fleischlose Alternativen aus biologisch korrektem Bio-organic-Tofu. Nur eben nicht beim Türken. In der Türkei bekommt man Hühnchen angeboten, wenn man sich als Vegetarier outet. Ich persönlich wäre wahrscheinlich auch jemand, der in dem Fall Hühnchen anbieten würde. Ist doch kein Fleisch. Ist doch weiß. Fleisch ist rot.
Vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass in den letzten 2 Jahren 53 Bio-Supermärkte in Berlins Innenstadt eröffnet wurden und 10 weitere in diesem Jahr folgen werden. Nun fehlt mir nur noch eine Statistik, wieviele türkische Supermärkte und Tante-Emma-Läden schließen mussten, weil die Zielgruppe einfach wegziehen musste. Oder, weil sich viele einfach nicht in einen "ach, so orientalischen" Laden trauen oder ihn gegebenenfalls nur aufsuchen, wenn sie einen Themenabend planen bei dem es original türkisches Essen geben soll. Seit der Schließung dieser Läden ernähre ich mich fast ausschließlich über einen Lieferservice und plane meinen Einstieg ins türkische-Supermarkt-Business! 


Trotz allen Schattenseiten gewöhne ich mich allerdings an diese Veränderungen bzw. versuche das Beste draus zu machen und unterziehe mich einer Verwandlung, die ich selbst nie für möglich gehalten hätte, weil ich ja immer als der Oberhater dieser Bewegung galt. Hipster und deren konform-individuellen (nein, in diesem Fall widersprechen sich diese beiden Wörter nicht) Verhaltensweisen können mitunter sehr erheiternd sein. Man muss sich nur drauf einlassen und sich selbst nicht so ernst nehmen, was die Angesprochenen leider oft oder eigentlich immer vergessen. Sich mit einem Edding einen Schnurrbart auf den Finger malen und bei Gesprächen nicht zu antworten, sondern einfach völlig unbeteiligt den Finger über den Mund zu halten, bunte und auf den ersten Blick unpassende Farben, Muster und Formen anzuziehen und so rauszugehen an einem Tag der nicht Fasching oder Karneval ist und man nicht gerade zu einer Bad taste Party eingeladen ist, macht Spaß, steigert das Selbstbewusstsein und bringt neue Bekannte, die man in Normalo-Outfit wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte. Auch die Parties sind eigentlich ganz lustig. Man muss sich halt abschießen (Club-Mate Wodka wirkt wahre Wunder) und alle Parties aus der Vergangenheit ausblenden. Einzeln sind die ja alle ganz nett und wenn sie nicht gerade ein neues Haus aufkaufen, die alten Mieter rausschmeißen und die Mieten verdoppeln, dann mag ich sie auch.